Exklusiv-Interview
Welche Herausforderungen sieht Ionity bei der Elektrifizierung? Und braucht Deutschland eine neue E-Auto-Prämie? DACH-Chef Christoph Strecker erläutert die Zukunft.
München – Elektromobilität ist längst kein Nischenthema mehr. Millionen von Menschen in Deutschland interessieren sich für E-Autos und fragen sich, wie alltagstauglich das Laden inzwischen ist. Ein wichtiger Akteur beim Ausbau der Ladeinfrastruktur ist mit Ionity ein Unternehmen, das mit starken Partnern und neuen Investitionen das Schnellladenetz vorantreibt.
Doch wie steht es um die Verfügbarkeit von Ladestationen, der hohen Strompreise und die Entwicklung der Infrastruktur?
Ionity: Preise, Standorte und die Zukunft der Elektromobilität
In Deutschland ist das Netz von Ladestationen entlang der Autobahnen bereits sehr gut ausgebaut, erklärt Ionity-Manager Christoph Strecker. Der Chef der DACH-Region erklärt: „Auf der Langstrecke gibt es mittlerweile fast schon ein Überangebot an Ladeinfrastruktur, während es in den Städten noch Nachholbedarf gibt.“
Die Preise an den Ladestationen sind für Nutzerinnen und Nutzer ein vorrangiges Thema. Während das Laden zu Hause meist günstiger ist, investieren Anbieter wie Ionity Millionengelder, um Schnellladeparks an wichtigen Standorten zu errichten. „Was uns helfen würde, wäre ein niedrigerer Strompreis, damit das Laden wettbewerbsfähiger wird“, sagt Strecker im Interview.
Der 35-Jährige spricht über drei Dinge, die E-Mobilität im Jahr 2026 vorantreiben: Reichweiten, Laden im Alltag sowie das flächendeckende Schnellladenetz.
Herr Strecker, in Deutschland ist manchmal noch von einer lückenhaften Ladeinfrastruktur die Rede. Ist das flächendeckende Netz hierzulande zu dünn?
Christoph Strecker: Die Frage kann man mit „Jein“ beantworten: Zum einen gibt es regional große Unterschiede, zum anderen ist dies zwischen Autobahnen und urbanen Gebieten der Fall. 2017 hatten wir das Ziel, Schnellladeinfrastruktur an Hauptverkehrsachsen und Autobahnen zu bauen. E-Auto Pioniere hatten meist eine Wallbox zu Hause und brauchten externe Infrastruktur nur für Langstrecken. Deshalb sind Autobahnen heute sehr gut ausgestattet. Auf Langstrecken gibt es mittlerweile eher ein Überangebot, in Städten sieht es dagegen anders aus. Daher werden wir künftig stärker in Städten ausbauen, um auch Kunden ohne eigene Wallbox oder Arbeitgeber-Lademöglichkeit zu erreichen.
Superschnelles Laden mit 600 kW erhält Einzug in die Infrastruktur
Hier liegt der Fokus auf Supermärkten und den Umbau von Tankstellen?
Strecker: Bestehende Tankstellen sind platztechnisch oft eingeschränkt und die großen Oil & Gas-Player wie Aral und Shell steigen selbst ins Business ein, weil der Spritverkauf zurückgeht. Allerdings gibt es Platzprobleme, etwa wegen Schutzzonen und Mittelspannungstrafostationen. Supermärkte hingegen sind super Standorte, weil man regelmäßig 20, 30 Minuten vor Ort ist und Laden des Elektroautos mit dem Einkauf kombinieren kann. Wir arbeiten zudem mit der Markengastronomie L’Osteria zusammen, auf deren Parkplätzen wir Ladesäulen errichten und schauen uns Standorte an, die nur als Ladepark fungieren, etwa Ringstraßen oder Einfallstraßen, die sich gut ins Pendeln einfügen. Mit 350- und 400 kW- Ladesäulen kann man heute schon in 15 Minuten aufladen, ab nächstem Jahr wollen wir auf 600 kW hochgehen und die Ladezeit von 10 auf 80 Prozent auf zehn bis zwölf Minuten reduzieren. Die Standortwahl von Ionity richtet sich danach, was auch in zehn Jahren noch Sinn ergibt.
Wie sieht es mit der Ladegeschwindigkeit in Supermärkten aus?
Strecker: Supermärkte setzen mittlerweile auch auf HPC. Dann gibt es Abstufungen mit verschiedenen Leistungsklassen, wie 150 kW oder 75 kW. Der Trend in der Ladeinfrastruktur und auch bei den Autos ist schon klar, je schneller umso besser. Einfach um den Leuten auch ein bisschen die Scheu zu nehmen, da irgendwie 30, 40 Minuten stehen zu müssen. Für den Einkauf sind Schnelllader sinnvoll, bei durchschnittlich 27 Minuten Aufenthaltsdauer laden die Autos im Mittel knapp unter 100 kW. Das liegt einfach daran, dass die Autos heute noch nicht so flächendeckend 350 kW können. Bei den neuen 800V-Fahrzeugen geht der Trend in Richtung Verdopplung der Ladeleistung und damit Halbierung der Ladezeit auf 15min.
Erläuterung: HPC-Laden
High Power Charging (HPC) bezeichnet das ultraschnelle Laden von Elektrofahrzeugen mit Ladeleistungen ab 150 Kilowatt, mittlerweile sogar bis 350 kW und mehr. Damit lassen sich moderne E-Autos in etwa 15 bis 30 Minuten von zehn auf 80 Prozent aufladen, was besonders auf Langstrecken und im Alltag Vorteile bringt. HPC-Ladestationen erfordern leistungsfähige Stromanschlüsse und spezielle Technik, damit sie die hohe Ladeleistung sicher bereitstellen können. Die Entwicklung von HPC ist ein zentraler Treiber für die Alltagstauglichkeit und Akzeptanz der Elektromobilität.
Deutschland verfügt über eine Fülle an DC-Ladepunkten – „Erwartungen waren groß“
Mit welchen Herausforderungen kämpft Ionity aktuell?
Strecker: Neue Modelle schaffen schon 250 bis 300 kW im Mittel und über 450 kW in der Spitze. Wenn Sie schauen, was kürzlich auf der IAA vorgestellt wurde: So ein Xpeng lädt bereits in zwölf Minuten von 10 auf 80 Prozent, ist dann im Mittel schon bei 250 bis 300 Kilowatt und in der Spitze bei über 450 kW. Jedes E-Auto hat eine bestimmte Ladekurve: In einem niedrigen „State of Charge“ erreicht das Fahrzeug die höchste Ladeleistung und je voller der Akku wird, umso geringer wird das. Da sehen wir noch großes Potenzial, denn die Ladeinfrastruktur, die heute aufgebaut wird, brauchen wir ja für 10, 15 Jahre und da will ich nicht in fünf Jahren feststellen, dass jetzt die Autos mehr Leistung fordern und ich das gar nicht abwickeln kann. Bei einem Supermarkt würde ich überspitzt sagen, wenn da jetzt der Akku, überspitzt gesagt, nach fünf Minuten voll wäre und ich bin erst bei den Bananen. Da muss man eben aufpassen, dass man die Ladeinfrastruktur mit der Aufenthaltsdauer in Einklang bringt.
Wo steht Deutschland bei der Ladeinfrastruktur im Vergleich zu anderen EU-Ländern oder Großbritannien?
Strecker: In Deutschland war 2020 jeder zehnte neue Ladepunkt ein DC-Ladepunkt, 2025 sogar jeder vierte. Der Zuwachs im HPC-Bereich ist hier überproportional. 23 Prozent aller Ladepunkte sind mittlerweile DC-Ladepunkte, der EU-Durchschnitt liegt bei 17. Deutschland steht also gut da, auch weil die Wachstumserwartungen groß waren. Wir haben rund 50 Mio. PKWs, aktuell 1,6 Mio. E-Fahrzeuge, das sind 3,3 Prozent der Flotte. Die Infrastruktur ist stark ausgebaut, und wir gehen nun noch gezielter vor, aufgrund des bereits erwähnten Überangebots in einigen Gebieten.
Christoph Strecker ist Country Manager DACH bei Ionity. Das Joint-Venture wurde 2017 von BMW, Mercedes, Volkswagen (mit Audi und Porsche) sowie Ford gegründet. Im Laufe der Zeit kamen die Hyundai Group (Hyundai und Kia) sowie Renault und Shell hinzu. Der Hauptsitz ist in München, zu den größten Investoren gehört der US-Finanzriese BlackRock. Kürzlich wurde das Unternehmen durch neun Banken mit einer weiteren Finanzierung von 450 Millionen Euro (erweiterbar auf 600 Mio. Euro) gestärkt.
Wie das Recycling von Ladestationen mit seltenen Erden zusammenhängt
Wie groß ist die Gefahr, dass künftig veraltete „Ladesäulen-Leichen“ die Stadtbilder prägen und was passiert mit den ausrangierten Ladestationen?
Strecker: Entlang der Autobahnen stehen noch viele 50 kW-Säulen aus Förderprojekten, die heute kaum genutzt werden. „Early Mover“ haben den Nachteil, dass ihre Infrastruktur heute überholt ist. Wir sind mittlerweile in der vierten oder fünften Generation und tauschen alte Standorte aus, wenn Ersatzteile nicht mehr verfügbar sind oder die Technik ineffizient ist. Die Systemarchitektur wird besser, sodass Ladeleistung effizienter verteilt werden kann. Bei der Entsorgung gibt es einen hohen Recyclinggrad, vor allem bei Elektronik und Kupfer. Ladesäulen werden nach etwa zehn Jahren erneuert, oft auch wegen Gesetzesänderungen wie Eichrecht oder Kreditkartenterminals. Die Bestandteile werden recycelt, ähnlich wie bei Akkuzellen. Das Schöne ist, dass die seltenen Erden, die in den Zellen drinstecken, dann nicht rausgehen. Das ist eigentlich ein total unterschätztes Thema.
Wie funktioniert das Recycling konkret, ist Ionity daran beteiligt?
Strecker: Wir forschen nicht direkt am Recycling, aber sind eng mit unseren Lieferanten abgestimmt, die weltweit aktiv sind. Wenn wir Ladesäulen abbauen, prüfen wir, ob Ersatzteile noch brauchbar sind und setzen sie bei anderen Ladeparks ein. Wir haben ein großes Operations-Team, das Ladesäulen repariert und instand setzt.
Elektromobilität boomt – Ionity hält neue E-Auto-Förderung für überflüssig
Welche Reichweite ermöglichen Elektroautos in etwa zehn Jahren?
Strecker: Pro Jahr gewinnen Batteriezellen etwa sieben bis acht Prozent an Energiedichte, das bedeutet eine Verdoppelung der Kapazität alle zehn Jahre. Der BMW i3 hatte 2013 einen 22-kWh-Akku, in einer späteren Generation mehr als doppelt so viel Reichweite bei gleicher Größe. Die Modelle werden effizienter, etwa durch Wärmepumpen. Bei den Zellchemien gibt es einen Trend von NMC zu Lithium-Eisen-Phosphat, diese Akkus können schneller laden. Viele Autos schaffen heute echte 400 km Reichweite, wichtiger ist aber das schnelle Nachladen: In bis zu zwölf Minuten kann man künftig 400 km Reichweite nachladen.
In Deutschland bahnt sich eine neue Elektroauto-Kaufprämie an. Halten Sie die für notwendig?
Strecker: Wir halten diese E-Auto-Förderung nicht für entscheidend. Die Herstellerseite bietet mittlerweile attraktive Autos an und die Infrastruktur steht. Prämien bieten meist nur kurzfristigen Anschub und führen dazu, dass Kunden abwarten – das dürfte auch Ende 2025 der Fall sein. In der Effizienz ist das Elektroauto überlegen und für Kunden, die zu Hause eine Lademöglichkeit haben, gibt es keinen günstigeren Weg unterwegs zu sein. Ja, die Strompreise an Schnellladesäulen sind teurer als der Hausstrompreis. Man muss aber auch bedenken, dass bei Firmen wie Ionity ein Millioneninvestment nötig ist, um öffentliche Ladeinfrastruktur anzubieten. Das muss sich natürlich auch irgendwie wieder amortisieren. Elektroautos sind heute in der Gesamtkostenbetrachtung schon günstiger als Verbrennermodelle und der Abstand wächst, weil Benzin und Diesel durch CO2-Bepreisung teurer werden. Was helfen würde, wäre niedrigere Strombeschaffungskosten, damit das Laden noch attraktiver wird.
Das Interview führte Patrick Freiwah